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Wie die Zeit Energie leitet

Als ich in meiner Mittagspause gerade mit meiner Gabel im Salat vor mir herumstocherte, während ich wieder ein paar Seiten in der Edda las, fragte ich mich, warum ich das überhaupt tat.

Gedankenverloren löste ich meinen Blick von den Buchseiten vor mir und blickte aus dem Fenster.

 

Warum? Interessierte mich wirklich, was darin zu lesen war?

Wie so oft, begannen sich meine Gedanken langsam zu verselbstständigen.

Tat ich es, damit ich sagen könnte, dass ich die Edda auch gelesen habe? Vielleicht. Aber vielleicht nicht nur deshalb. Vermutlich hoffte ich, in dem Buch doch die eine oder andere Weisheit für mich zu entdecken, die darin verschlüsselt war und darauf wartete, entdeckt zu werden.

 

Ganz in Gedanken versunken blickte ich wieder in das aufgeschlagene Buch und verlor mich etwas in dem keltischen Muster, das am Rand abgedruckt war.

Wäre es möglich, dass das der Weg hier raus sein könnte? Dieser Gedanke stieg wie aus dem Nichts in mir auf und schien mich nicht mehr loszulassen. Wenn ich endlich einmal die verschlüsselten Botschaften, die Kodierung dieses Daseins studieren würde, indem ich viele alte Schriften genauer unter die Lupe nahm. Würde ich dann dahinterkommen, wie alles zusammenhängt, um schließlich nicht noch eine Runde in dieser 3D-Ebene drehen zu müssen?

 

Doch wenn das der Weg heraus wäre, warum sträubte sich dann schon immer alles in mir, wenn es um Normen, Regeln und sich wiederholende Muster ging. Ganz egal ob im Mathematikunterricht, beim Zeichnen eines Bildes oder beim lesen alter Schriften.

Das einzige Muster, das mir tatsächlich jemals gefallen hatte und das ich immer wieder in meinen Zeichnungen mit voller Hingabe verwendete, war die Spirale. Aber keine sich wiederholende Spirale mit gleichbleibenden Abständen. Nein, es war nur die Grundform der Spirale. Doch wenn ich sie zeichnete, öffneten sich verschiedene Spiralen in die unterschiedlichsten Richtungen. In Form von Haarsträhnen, Bändern, Wurzeln, Gräsern oder Wellen im Wasser.

 

Das passte nicht zusammen. Es schien mir nicht natürlich zu sein, alles in Regeln und Formen definieren zu müssen.

Da. Ganz plötzlich durchströmte mich ein weiterer Gedanke. So mächtig und laut, dass ich die Gabel aus der Hand legen und zu einem Stift greifen musste, um ihn festzuhalten:

 

Wenn Energie nicht frei fließen kann, dann beginnt das Altern.

 

Wie bitte? Wo kam das denn nun her? Erneut blickte ich aus dem Fenster und ließ meinen Gedanken Zeit, die Antwort zuzulassen.

Ist es das, was wir Zeit nennen? Kann das sein? Ist das Messen von Zeit nichts anderes, als Energie in ein Muster zu zwingen? So wie vieles andere auch?

 

In meinem Kopf begann sich langsam alles zu drehen. Was wäre, wenn dem tatsächlich so ist?

Ich trat innerlich einen Schritt zurück und sah den Gedanken zu, die in mir aufstiegen und wieder verschwanden.

Ohne sie zu bewerten oder sie für die absolute Wahrheit zu halten. Einfach nur Gedanken, die mir neue Blickwinkel eröffneten.

 

Wenn wir geboren werden, sind wir voller Energie. Als Kinder haben wir noch nicht wirklich ein Gefühl für Zeit oder Zeiträume. Ich erinnerte mich, wie lang mir als Kind zwei Wochen vorgekommen waren. Doch je länger wir hier existieren, desto mehr werden wir an dieses Muster, an diese Norm gebunden. Ein Jahr hat 365 Tage, ein Tag hat 24 Stunden, eine Stunde 60 Minuten und eine Minute 60 Sekunden. Sogar die Sekunden könnte man noch weiter unterteilen.

 

Und an dieses Muster sind Erwartungen geknüpft. Ab einem gewissen Alter wird erwartet, dass man Geld verdient, verheiratet ist oder Kinder hat. Ein gewisser Betrag an Geld sollte angespart sein und man sollte schon etwas von der Welt gesehen haben.

Noch mehr Muster, die uns in weitere Muster zwingen. Von Montag bis Freitag wird gearbeitet, an den Wochenenden trifft man Freunde, geht shoppen oder macht den Haushalt. Im Urlaub besucht man die Familie oder bereist die Welt. Haus, Auto und Freizeitspaß wollen bezahlt werden. Dazu braucht man Geld. Um an Geld zu kommen, braucht man einen Job und der ist wiederum an Arbeitstage geknüpft.

 

Je mehr wir uns in all diesen Mustern verlieren, desto mehr unserer Energie fließt in diese Muster und bleibt darin gefangen. Während sie in uns immer schwächer wird. Denn sie kann nicht frei fließen.

 

Ich hatte vor einiger Zeit gehört, dass Symbole schon immer dazu verwendet wurden, Energie zu lenken. Das ist es, was wir als Magie bezeichnen. Zum Beispiel, um sich vor Flüchen oder dem bösen Blick zu schützen. Natürlich könnte man Energie auch für andere Zwecke in gewünschte Richtungen lenken.

Da verstand ich, warum mir das alles schon immer zuwider war. Jedes Wort, jedes Symbol schwächt die Energie, denn es zwingt sie in ein Schema und sie kann nicht mehr frei fließen.

 

Doch wie passte das in unsere Menschheitsgeschichte? Warum hätten sich die Menschen überhaupt so weit von dieser Energie entfernen sollen? Wenn man damit doch so vieles verändern könnte?

Die Antwort erschien mir plötzlich ganz logisch. Wenn überall um uns herum Energie frei fließt, kann diese sicher sehr mächtig und zugleich chaotisch sein. Vermutlich wäre das am ehesten mit den Naturgewalten zu vergleichen. Wie ein reißender Fluss, ein Orkan oder ein Vulkanausbruch, dem sich die Menschen im Zweifelsfall ausgeliefert fühlen.

 

Was wäre, wenn die Menschen aus irgendeinem Grund nicht mehr gewusst hätten, wie sie selbst diese Energien lenken können und sich nun mit diesen Naturgewalten in feinstofflicher Ebene konfrontiert sahen? Egal ob böse Geister im Wald, in der Nacht oder auf einem Berg. Mit jedem neuen Muster, das entworfen wurde, hätte die Lernerfahrung gesammelt werden können, dass diese Energie zu kontrollieren war, wenn man sie in ein Muster, in ein Raster sperrte.

 

Aber nicht nur das. Auf diese Weise verlor diese Energie auch an Macht. Sie wurde aufgeteilt, in immer weitere und kleinteiligere Muster zerrissen und darin eingesperrt. Je mehr Muster entstanden, desto weiter entfernte sich der Mensch von der Natur und ihrem eigentlichen, mächtigen und chaotisch anmutenden Wirken. Umso mehr der Zugang zu dieser Energie durch Muster verschlüsselt wurde, desto schwerer wurde es für den Menschen, auf diese Energie zugreifen und sie durch seine Gedanken lenken zu können. Mit jedem Muster wurde diese Welt schwerer, materieller und starrer. So wie der Mensch.

 

Heute ist unsere Welt durchzogen von Stromkabeln, Binärcodes, Kalendern, Kleidergrößen, Nationalitäten, Handynetzen, Radiofrequenzen, Fernsehsendern, Tabellen, Preisen, Landesgrenzen, dem metrischen System und vielen weiteren Mustern. Nichts mehr wird dem Zufall überlassen. So gut wie nichts mehr kann einfach sein oder frei fließen.

 

Gleichzeitig verspüren viele Menschen ein Gefühl der Machtlosigkeit, dem sie sich ausgeliefert fühlen.

Ohne eine Idee, wie sie diesen Zustand ändern könnten. Vielleicht würde es tatsächlich helfen, wieder mehr Freiraum im Leben zu schaffen. Das Leben, die Energie und die eigenen Gedanken, wieder mehr in ihren eigenen Wirbeln und Strömungen fließen zu lassen… ?

 

 

Meine Mittagspause neigte sich langsam dem Ende. Es dauerte noch ein paar Minuten, bevor ich mich wirklich wieder voll und ganz auf meine Arbeit konzentrieren konnte. Doch ich beschloss, diese Gedanken unbedingt festhalten zu wollen, um sie später mit Euch teilen zu können.

 

Was glaubt Ihr?

 

Ist da etwas dran? Könnte es uns wirklich helfen, wieder mehr in unserem Leben einfach zuzulassen, anstatt es zu planen und in Muster zu zwingen?

 

Ich selbst bin ein wirklicher Fan von Mustern. Sie vereinfachen vieles, geben Halt und Struktur.

Aber ich denke, dass der Preis dafür tatsächlich höher als gedacht ist. Denn solange ich mich an einen Plan halte, beschränke ich meinen Geist und damit meine Möglichkeiten.

 

Darüber werde ich sicher weiter nachdenken.

 

Alles Liebe,

Eure Neuzeitdruidin

 

 

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